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Nachlese zum UGÖD-Café „Chancengleichheit in der Schule“

Ein Junge mit dunkler Hautfarbe sitzt in einer Klasse

Die Conclusio - wohl allen bekannt: Chancengleichheit in der Schule gibt es für in Österreich lebende Kinder nicht, denn es lastet viel zu viel Verantwortung auf den Eltern.

 

Ulli Balassa und Susanne Weghofer, Stützlehrer:innen in Wien, gaben den Input.

 

Stützlehrer:innen für Volksschulen gibt es als Wiener Modell, damit Inklusion gelebt werden kann, aber dieses Modell verkommt zum Auslaufmodell. Die präventive Förderung von Kindern mit unterschiedlichen Lernschwierigkeiten durch die Entwicklung und Erstellung individueller Übungsangebote über einen längeren Zeitraum steht im Mittelpunkt der Arbeit der Stützlehrer:innen. Diese präventive Arbeit soll unter anderem den Ausgleich von Benachteiligungen gewährleisten. Das bewirkt eine Verhinderung von Klassenwiederholungen, vor allem aber die Vermeidung bzw. Verringerung von sonderpädagogischem Förderbedarf.

 

Das zweite Aufgabengebiet betrifft das Unterrichten und Beurteilen von Kindern mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule (früher: meist nur in Deutsch oder Mathematik oder max. zwei Unterrichtsgegenständen), d.h. die Kinder können in ihren Volksschulklassen verbleiben und werden in den Gegenständen nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule unterstützt und unterrichtet. Der Test zur Feststellung der Lernbehinderung ist eine einstündige Leistungsüberprüfung (Schulpsychologie) mit einer gravierenden Entscheidung für die weitere Bildungslaufbahn.

 

Im Sinne der Inklusion sollte der erste Aufgabenbereich, nämlich die präventive Förderung, mehr Gewicht und daher auch die nötigen Ressourcen erhalten! Aber genau das Gegenteil geschieht: Die Zahl der Stützlehrer:innen wird nicht erhöht und somit können benachteiligte Schüler:innen nicht in ausreichendem Maß präventiv gefördert und weiterhin nach dem Volksschullehrplan beurteilt werden. Die wenigen verbliebenen Stützlehrer:innen werden fast nur mehr für ihr zweites Aufgabengebiet (das Unterrichten und Beurteilen von Kindern mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule) eingesetzt.

 

Aber auch diese Ressourcen werden nicht mehr zwingend zur Verfügung gestellt.

 

Das heißt, Schüler:innen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf (Beurteilung nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule) verbleiben zwar in Volksschulklassen mit einer Volksschullehrer:in, aber ohne zusätzliche Förderung.

 

NEU und erschwerend dabei ist, dass der sonderpädagogische Förderbedarf jetzt meist eine Beurteilung nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule in ALLEN Gegenständen zur Folge hat.

 

Obwohl die Kinder laut einem rechtlichen Bescheid ein Anrecht auf eine bestmögliche Förderung haben, sollen diese Schüler:innen von der Klassenlehrer:in wie alle anderen Schüler:innen nur differenziert unterrichtet werden. Sie haben weder durch eine Stützlehrer:in noch durch eine andere Sonderpädagog:in eine Unterstützung. Das heißt nicht, dass sonderpädagogisches Unvermögen von Volksschullehrer:innen vorläge, sondern, dass diese Aufgaben aus zeitlichen und organisatorischen Gründen in einer Klasse mit oft mehr als 25 Schüler:innen nicht umsetzbar sind.

 

Somit werden die betroffenen Schüler:innen wohl kaum kontinuierlich gefördert, was zum Erreichen des bestmöglichen Bildungsabschlusses nötig wäre.

 

Die Lehrpläne werden alle paar Jahre aktualisiert, Studien werden erstellt, aber es gibt kein Geld für die erforderlichen Lehrer:innen.

 

Die Alternative zur Integration und Inklusion sind „sonderpädagogische Zentren“, früher: Sonderschulen. Einige Sonderschulen in Wien haben sich auch für nicht (lern)behinderte Kinder geöffnet und werden so zu inklusiven Schulen. Aber schicken wirklich viele Eltern freiwillig ihr „gut gefördertes“ Kind in solch eine Schule?, fragt Susanne Weghofer.

 

Warum es so stark von den Eltern abhängt, ob Kinder die ihnen zustehende Unterstützung bekommen: Wenn Eltern sich nicht artikulieren können, die Betreuung des eigenen Kindes nicht einfordern, dann passiert das nicht, weil es viel zu wenige Stützlehrer:innen gibt. Die Stützlehrer:innen werden nicht mehr nachbesetzt, wegen Personalmangels werden einige als normale Klasssenlehrer:innen eingesetzt.

 

In Wien gibt es keine Sprengelschulen mehr. Es entsteht die Situation, dass 100% der Kinder einer Schule keine deutsche Muttersprache haben. Kinder würden voneinander lernen, stattdessen gibt es Ghettos, weil die Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder woanders hinschicken.

 

Kinder brauchen Personen und Ressourcen. Die Feststellung des „sonderpädagogischen Förderbedarfs“ (SPF) nützt ihnen gar nichts.

 

Ein Beispiel: ein Mädchen mit Hörproblem. Die Klassenlehrerin beantragt keinen SPF, das Kind ist gemeinsam mit allen Kindern bis zur 4. Klasse Volksschule zusammen, kommt danach in die nahegelegene Mittelschule. Das Kind ist dort „gewachsen“, es hat gezweifelt, aber hatte immer Menschen hinter sich, die es bestärken.

 

Weil es zu wenig Lehrer:innen gibt und zu viele Kinder pro Lehrperson, kann nicht mehr individualisiert werden. Wenn ein Kind eine Aufgabenstellung nicht versteht, geht die österreichische Schule davon aus, dass die Eltern helfen (und dem Kind die Aufgabe erklären, mit ihm Hausübung machen). Aber egal woher die Eltern kommen: Eltern, die sich nicht auskennen, können nicht helfen. Auch Eltern, die sich nicht für das schulische Fortkommen interessieren oder einfach keine Zeit haben (Problem Alleinerzieher:innen), helfen nicht.

 

In OÖ gibt es für die Pflichtschulen pro Bezirk 1-2 Sozialarbeiter:innen (aber die Bezirke sind groß!), die auch die Aufgabe haben, den Kontakt mit den Eltern zu suchen.

 

In der Nachmittagsbetreuung wird die Lernbetreuung vom Staat bezahlt, die Freizeitgestaltung ist unterschiedlich geregelt. Freizeitpädagog:innen werden als Verwaltungspersonal geführt, sind von Privatschulen selbst zu bezahlen, in Landesschulen hingegen vom Land oder der Gemeinde.

 

Forderungen:

 

  • Da die Kinder bei Schuleintritt einen sehr unterschiedlichen Entwicklungsstand von oft bis zu 3 Jahren aufweisen, betonte Susanne Weghofer folgende wichtige Forderung: möglichst frühen verpflichtenden und kostenfreien Kindergartenbesuch und ganz ZENTRAL: der Besuch der Vorschulklasse sollte für jedes Kind nicht in die Schulpflicht eingerechnet werden.

  • Gemeinsame Schule und damit kein Notendruck in der Volksschule und keine Segregation mit 10 Jahren

  • Ganztagsschulen: vom Bund bezahlte Betreuung in Lernhilfe und Freizeit.

  • Ressourcen für die bedarfsorientierte Förderung von Kindern, die das brauchen. Keine österreichweite SPF-Deckelung.
  • Mehr Support für Lehrer:innen: Teamlehrer:innen, Lehrer:innen mit DAF/ DAZ- Ausbildung[1], Stützlehrer:innen, Sprachheillehrer:innen, Sonderpädagog:innen als ambulante Lehrer:innen, Beratungslehrer:innen, Sozialarbeiter:innen, Gesundheitspersonal, gezielte Betreuung. Es braucht ein völlig anderes Zahlenverhältnis als derzeit 6000 Schüler:innen pro 1 Psycholog:in.

  • Bildung kostet! Das müssen Bildungs- und Finanzminister:innen wissen. Die ganze Regierung muss wissen, dass jeder in Bildung investierte Euro vielfach zurückkommt.

  • Dass sich beim Aktionstag Bildung am 15. Juni 2023 in Wien zehntausend Menschen und in einigen Landeshauptstädten weitere hunderte einfanden, um Forderungen wie die obigen zu untermauern, zeigt die Wichtigkeit und Rechtfertigung für diese Anliegen.

 



[1] Deutsch als Fremdsprache oder Zweitsprache

 

 


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