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Bildung in der Schockstarre

Eine Lehrerin schreibt an die Tafel

Nach neun Schuljahren können derzeit 24% der Jugendlichen einfache Texte nicht lesen, 13% davon können schon seit der Volksschule nicht einmal auf Wortebene eine Information entnehmen. 30% der Jugendlichen mit abgebrochenen Lehren finden derzeit den Weg direkt in die Langzeitarbeitslosigkeit. Forschungsergebnisse zeigen, dass mit früher äußerer Differenzierung keine positiven Effekte in Bezug auf das Leistungsniveau verbunden sind, selbst bei den besten 5% der Schüler:innen ist das nicht der Fall, ganz im Gegenteil, ein negativer Effekt lässt sich feststellen.  Ein klarer Beleg dafür, dass das von der UGÖD lancierte Modell der gemeinsamen Schule im Pflichtschulalter dazu führen würde, dass Kinder grundsätzlich davon profitieren würden, jene aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten besonders stark, weil infolge der Chancengleichheit „Adaption nach oben“ stattfinden würde. Die Dringlichkeit dieser Forderung spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass lediglich 7% der 25- bis 44-Jährigen aus bildungsfernen Haushalten einen Hochschulabschluss erreichen.

 

Ein tiefer Graben verläuft somit zwischen den Schulen dieses Landes. Er lässt die Trennung unausweichlich erscheinen und verunmöglicht Ansätze der Gleichberechtigung. Es gibt keine Brücken über ihn hinweg. Ihn zuzuschütten wird lang dauern, aber eine Brücke ist schnell errichtet. Die Plattform „Bildung für alle" hat sich dem Brückenbau verschrieben.

 

Wie es um die Schulen wirklich steht

 

Noch nie war die fehlende Wertschätzung unseres Berufstandes seitens des Dienstgebers so stark spürbar, noch nie mussten so viele Kolleg:innen weit über ihre Belastungsgrenze hinaus arbeiten, wie seit Ausbruch der Covid-Pandemie. Noch nie waren so viele Kinder psychisch so unter Druck! Deshalb wäre es so wichtig, dass alle Pädagog:innen ihre Verzweiflung und Überforderung kundtun. Zu ihrer eigenen Gesundheit und Psychohygiene und zum Wohl unserer Schüler:innen, an denen die sich stetig verschlechternde Situation des Bildungswesens auch nicht spurlos vorbei geht!

 

Mit dem Wissen darüber, dass niemand von den Lehrenden danach fragt, werden viele auch in diesem Schuljahr eine Reihe von hinterfragenswürdigen "Schulqualitatsmanagement-Konferenzen" über sich ergehen lassen müssen. Verordnet und gelenkt von Menschen, die fernab der Schulrealität zu wissen glauben, wie Schulqualität optimiert werden kann. Was bleibt, ist ein Fünkchen Hoffnung auf eine kompetente Bildungsminister:in und solidarische Lehrer:innen, die sich nicht "verheizen" lassen wollen und sich gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen und damit für eine bessere Schule engagieren.

 

Unter dem Aufhänger „Lehrer:innenmangel" weiß mittlerweile auch die interessierte Öffentlichkeit um die Zustände an österreichischen Schulen Bescheid. Viel zu spät - trotz mehrfacher Warnungen - haben die Bildungsverantwortlichen in Bund und Stadt auf die erwartbare Pensionierungswelle und auf die verlängerte Lehrer:innenausbildung reagiert. Was ist zu tun, um Maturant:innen für diesen tollen Beruf zu begeistern? Der Lehrberuf muss wieder attraktiver werden. Verstaubte Strukturen müssen durchlüftet werden!

 

Einsicht, Vorschau und Neustart

 

Den Kopf also nicht hängen lassen! Rio Reisers Textzeilen „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten" sind nach wie vor aktuell.

 

Die Folgen der Corona-Krise haben die fatalen Schwächen des bestehenden Schulsystems mit seiner sozial selektiven Schulorganisation überdeutlich sichtbar gemacht. Die ÖVP und mit ihr die seit den Gründungsjahren der 1. Republik dominanten Gegner demokratischer Schulreformen sind in eine Existenzkrise geraten, mit ihnen die Bewahrer von Iandespartei- und standespolitischen Machtpositionen im österreichischen Schulwesen. Resignation angesichts der jahrzehntelang unvorstellbaren Zustimmung der ÖVP zu Schulgesetzänderungen mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit und damit der nicht nur bei SPÖ und Grünen immer noch verbreitete Pessimismus haben sich überlebt. Auch in der "schwarzen" GÖD und ihren standesbewussten Lehrer:innen-Gewerkschaften arbeiten immer mehr ÖVP- und parteiunabhängige Kolleg:innen als Gewerkschafts- und Personalvertreter:innen. Eine gemeinsame ganztägige Pflichtschule für alle ist notwendig und ist möglich. Ein Projekt, dessen Ausführung wenigstens zwei Legislaturperioden brauchen wird und einen breiten Konsens im Parlament.  Vor allem jedoch einen langen Atem, bis die Österreichische Schule die vom Humanisten Jan Komensky {1592-1670} entworfene „Allgemeinbildung für alle in allem“ auf den Weg bringt. Glück auf für eine große Schulreform, die von unten wachsen und sich lebendig weiterentwickeln kann.

 

Dieser Text ist eine Zusammenstellung von Statements folgender Autor:innen:

 

Claudia Astner

Trixi Halama

Andreas Chvatal

Bernd Kniefacz

Reinhart Sellner

 

Aufbereitung der Forschungsexpertise: Sonja Tollinger, Reinhart Sellner

 

Publikation: apflug.at/aktuelle-apflspalten

Reinhart Sellner, BILDUNG FÜR ALLE - Warum es so schwer ist, mit der gemeinsamen ganztägigen Pflichtschule 

 

Stefan Schön

UGÖD Pressesprecher