· 

Dialogforum an der Universität Salzburg, 15. Mai 2024

Ein Buch, ein Notebook und ein Smartphone sind mit Ketten verschnürt

Sehr geehrter Herr Rektor,

sehr geehrter Herr Vizerektor,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

 

 

Herr Vizerektor, danke für Ihren Hinweis, dass Sie nach Inkrafttreten des UG 2002 einiges von dem eingerichtet haben, was das UG eigentlich abgeschafft hat, „im Rahmen der Gesetze“ das Legalitätsprinzip sicherstellend somit freiwillig Regelungen geschaffen haben. Im UOG 1993 hatten wir noch eine ganze Palette von Kollegialorganen und deren Standard war, es gab die Kurie der Professor:innen, des akademischen Mittelbaus und der Studierenden und unterhalb der Professor:innen stand immer „in halber Anzahl“ der jeweiligen Kurie oberhalb. Das galt für Habil- und Berufungskommissionen, für die Senate, dann jedoch der „rote Stachel“ in den Institutskonferenzen, wo die Wortfolge „in gleicher Anzahl“ zur Anwendung kam. Man kann sich demnach ausrechnen, welche Mitbestimmungskraft man damit damals gehabt hat. Hier noch der Hinweis auf die sog. Universitätsversammlung zur Wahl der/des Rektor:in mit einer Obergrenze von 600 (!) Mitgliedern. Das war noch gelebte Demokratie, die diesen Namen verdient hat, ein Gremium, das inklusive des allgemeinen Personals paritätisch besetzt war. Bitte vergleichen wir das mit den Regeln, die heute für die Rektor:innenwahl gelten, und das ist selbstverständlich kein Vorwurf gegen die heute anwesenden Rektoratsmitglieder. Sie sehen den System- und Paradigmenwechsel!

 

Das Ausmaß der Beseitigung von Mitbestimmungen, wie sie das UOG 1993 noch gekannt hatte, gegenüber der Rechtslage auf Basis des UG 2002 ist evident, sowohl was den Kahlschlag von Kollegialorganen als auch die immense Zurückdrängung der Repräsentanz der wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter:innen im Vergleich zu den Universitätsprofessor:innen betrifft. Dieser Befund ergibt sich unmissverständlich aus den normativen Regelungen und dem jeweils zahlenmäßigen Anteil der Gruppen des wissenschaftlichen und künstlerischen Universitätspersonals in den Kollegialorganen (Senat und den sog. „entscheidungsbefugten“ Kollegialorganen Berufungs- und Habilkommissionen). In den Erläuterungen zur Urfassung des UG finden sich minimale Ausführungen zum Paradigmenwechsel bei der Mitbestimmung. Als Eckpunkte werden genannt: Übernahme der Belange des Personals durch die Betriebsräte und Teilnahme von Belegschaftsvertreter:innen an den Uniratssitzungen offensichtlich aus dem Motiv heraus, ein Korrektiv zu suggerieren, Mitsprache in den entscheidungsbefugten Kollegialorganen (Berufungs-, Habil- und Studienkommissionen) und Einbeziehung der Evaluationsergebnisse in die Leistungsvereinbarungen. Was der Hinweis auf die Mitverantwortung durch doppelte Legitimation und die Führung mittels Zielvereinbarungen damit zu tun hätte, erschließt sich vom Sachverstand her nicht. Die Aufzählung der übrigen Mitbestimmungsszenarien sind karge Restbestände der Rechtslage des UOG 1993 und erklären gar nichts. Die einschneidenden Veränderungen hatten eindeutig mit der Dienstrechtsnovelle 2001 und der kurz darauf erfolgten Ausgliederung der Universitäten zu tun.

 

Der Systemwechsel hatte zwei Hauptstoßrichtungen, die sich beide gegen die Personengruppe des sogenannten akademischen Mittelbaus richtete, nämlich die Beseitigung verstetigter Beschäftigungsverhältnisse und die massive Reduktion von Mitbestimmungsrechten dieser Gruppe. Dies hatte seinen tiefen Grund wohl darin, dass Institutskonferenzen und deren Leitungspersonen einen maßgeblichen Einfluss auf die Einstellung von Personal hatten, zwar nur via Vorschlagsrecht, aber wir wissen ja seit dem Regime des UG 2002, dass etwa bei Ernennungen zu Leiter:innen von Organisationseinheiten so ein Vorschlagsrecht auch seine Tücken hat, wenn etwa just die Person, die die Rektorin/der Rektor ernennen will, nicht im Vorschlag steht.

 

Wer also verbarg sich hinter den Kräften, die das vermeintlich starre, alte Dienstrecht – wohl gemerkt: auch jenes nach 2001! – durch ein freies, marktwirtschaftliches ersetzt haben wollten und die Universitäten in das vermeintliche Paradies der selbstbestimmten Selbstverwaltung entlassen wollten?

 

Die Antwort findet sich nach meinen Recherchen auf 202 Seiten stenographischer Protokolle zweier parlamentarischer Enqueten „Die Universitätsreform“[1] und „Der Weg zur vollen Rechtsfähigkeit der Universitäten“[2] aus den Jahren 2001 und 2002. Ich gehe jetzt ohne Einleitung in medias res (Zitate!):

 

  1. Funktionsschädliche Sozialpartnerschaftsrituale sollen nicht mehr zelebriert werden. Es sind andere, bessere Formen von demokratischer Partizipation zu finden, und es ist ein billiger semantischer Taschenspielertrick, andere Demokratieformen als „keine Demokratie an der Universität" zu verkaufen. Die de facto vom Leistungsnachweis abgekoppelte Belohnung ausreichender Verweildauer degeneriert zum Rechtsanspruch auf Regelbeförderung. Mit dem UOG unter dem Arm und mit dem Dienststellenausschuss im Rücken können Sie jedes Institut mühelos sprengen.[3]
  2. (Die Reform) bedingt aber auch eine andere Form der sozialpartnerschaftlichen Konfliktaustragung an den Universitäten, als es jetzt der Fall ist. Dann wird es nämlich nicht möglich sein, dass man gleichzeitig mitbestimmte Entscheidungsstrukturen und zusätzlich noch eine wesentlich aufgewertete Personalvertretung in Gestalt eines Betriebsrates hat, denn dieser verfügt ja über wesentlich mehr Zähne als eine öffentlich-rechtliche Personalvertretung. Wenn Sie aber den gegenwärtigen Zustand der Paritäten aufrechterhalten, dann kommen Sie zu einer Überbestimmung, denn traditionellerweise – da brauchen wir uns nichts vorzulügen – sind die Mittelbauvertreter gleichzeitig auch die Personalvertreter. Man kann sich dann noch immer dazu entscheiden, die korporatistisch verfasste Universität mit den einzelnen Gruppen aufrechtzuerhalten; dann kann man sie aber nicht in das System einer Betriebsverfassung eingliedern.[4]
  3. Wir sind durch das System, das fälschlicherweise auf demokratische Mitbestimmung ausgerichtet ist, völlig geknebelt. Es ist kein demokratisches System, das kann man an vielen Stellen belegen. In Italien, wo ich beheimatet bin, hat man dies immer mit Entsetzen verfolgt. Derartige Dinge, derartige korporativistische Züge hat man dort spätestens mit dem Ende des Faschismus abgelegt. Befreien Sie uns von einem Gesetz, das uns zur Freunderlwirtschaft, zum „do ut des“ zwingt! Das ist keineswegs gegen die Studierenden gerichtet, die Kunden unserer Universität, denen gegenüber wir die Verpflichtung haben, sie zu kontrollieren. Es ist auch nicht gegen den Mittelbau gerichtet. Stellen Sie sich vor, als hervorragender Universitätsdozent hängen Sie immer noch in der Mittelbaukurie drin, mit 60, mit 65 Jahren, und längst haben Sie die Qualifikation des Professors! Sie sind möglicherweise viel besser als der Professor, der neben Ihnen steht. Das ist doch eine absurde Situation, mit der aufgeräumt gehört. Wenn durch die Großzügigkeit des Finanzministers oder auch von Privaten Gelder zur Verfügung gestellt werden können und diese Möglichkeit besteht, würde ich mich sehr dafür aussprechen, in Österreich vorbildhaft eine Europa-Universität zu gründen, eine internationale Europäische Universität, die europäische Studienabschlüsse vergibt.[5]
  4. Mit dem Dienstrecht, mit dem UOG in der Hand und dem Dienststellenausschuss im Rücken kann man ein Institut kaputt machen. – Ich denke, das geht sehr leicht, wenn man es nur will, und ich behaupte: Es gibt mehr als genug, die das wollen! Und: Der Institutsvorstand hat keine Chance, etwas dagegen zu machen, er kann es nur verzögern. Ich fordere tatsächlich, dass wir das, was wir als professorale Verantwortlichkeit in einer Verantwortungsstruktur einzufordern haben, auch wieder zurückbekommen.[6]
  5. Sie müssen hier in diesem Land irgendwie zurechtkommen, einen Weg finden und sich einen Modus aushandeln. Mitbestimmung sein lassen, heißt nicht, dass ich mit der Knute regieren will, sondern dass es eben in allen möglichen Gremien, die man sich nur denken kann, eine studentische Anhörung gibt, dass ich aber nicht die Entscheidungsbefugnis über Peers an Non-Peers abgebe.[7]

 

Einige Zahlen: 2002 gab es in Österreich 2.267 Professuren und 7.564 Assistent:innen, von denen etwa die Hälfte befristet war.

Mit Stichtag 31.12.2022 kommen wir auf 3.020 Professuren und auf 39.777 Angehörige des (sonstigen) wissenschaftlichen/künstlerischen Personals, von dem – wie wir wissen – über 80% befristet sind.

Die Anzahl der Assistenzprofessuren (KV) beträgt 543 (!) und jene der Laufbahnstellen in der Qualifizierungsphase 71 (österreichweit!). Das sind nur 8% der Assistent:innen gem. Beamtendienstrechtsgesetz vom provisorischen – befristeten bis zum definitiven Dienstverhältnis 20 Jahre davor!

20 Jahre nach der Reform arbeiten demnach fast 40.000 Beschäftigte Non-Peers für etwa 3.000 Peers, die Entscheidungsträger:innen. Das Interesse der Universitätsleitungen an Laufbahnstellen ist marginal.
Hat man die Aussagen der Befürworter:innen der Reform von 2001/2002 im Ohr, so muss man sagen, dass die – selbst von diesen – formulierten Ziele statistisch nachweisbar klar verfehlt wurden. Mit Qualitätssteigerung hatte demnach die radikale Umgestaltung des Dienst- und Organisationsrechts absolut nichts zu tun. Es war ein Machtkampf.

 

Zur Ehrenrettung jener Kolleg:innenschaft der Jahre 2000 bis 2002, die verzweifelt und vergeblich damals ganz anders, und zwar gegen die Reform – argumentiert haben, hier ein kleiner Ausschnitt aus den Ausführungen[8] von Prof. Mag. Dr. Wendelin Schmidt-Dengler:
Ich orte – wie auch in vielen Wortmeldungen der Enquete des Vorjahres – eben jene Sehnsucht nach der starken Persönlichkeit, nach dem Entscheidungsträger, nach der Autorität, nach den "Führungskräften", um ein neuscheußliches Wort zu verwenden. Jemandem, der sich mit der Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre in Deutschland und Österreich beschäftigt hat, läuft es da kalt über den Rücken. Ich zitiere einen Text aus dieser Zeit: "Nun hat einer für uns alle gehandelt. Bedenkt es doch, Freunde: ein einzelner Mann und nicht durch die Kniffe des Diplomaten, . . . sondern durch die hinreißende und befreiende Kraft einer wahrhaft großen Menschlichkeit." – So Karl Heinrich Waggerl zum 10. April 1938.
Da ziehe ich – nicht nur als Dichter – Hölderlin vor, der einen Zustand herbeisehnt, "wo Herrschaft nirgends ist zu sehen bei Geistern und Menschen". Die Denunziation der Gremien als Orte, an denen Klüngel sich eingerichtet haben, um jede Reform zu verhindern, gehört zu jener Rhetorik, die vergessen machen will, worum es eben diese Gremien gegeben hat. Die Sehnsucht nach aristokratischem Umgang macht sich allenthalben bemerkbar und geradezu "biblisch" ließ sich bei der letzten Enquete eine Kollegin vernehmen:

 

"Schluss mit dem Sündenfall der Mitbestimmung von Non-Peers über Peers!"

 

Mit einem Sündenfall lässt sich nicht Schluss machen, sondern dieser fällt eben einmal, und das ist dann das Ende. In der Sprache sollte jemand, der sich in die Peerage hineinreklamiert, auch genau sein, und zudem - ich zitiere die Worte der Maria Stuart aus Schillers Drama -: "Ich sehe diese würd'gen Peers mit schnell vertauschter Überzeugung unter vier Regierungen den Glauben viermal ändern."

 

Was wir brauchen:

 

ü Klare Analyse dessen, was geschehen ist – Wir blicken auf immerhin 20 Jahre zurück.

 

ü Entschlossene Orientierung auf eine Zielrichtung: Partizipation – für 45.000 Beschäftigte des wiss./künstl. Personals.

 

ü Mut zu neuen Organisationsformen eines Miteinanders.

 

ü Interessensvertretung zugunsten von Lohngerechtigkeit und sozialer Verantwortung

ü Forderung: Schaffung einer kollegialen Mitbestimmung auf der Ebene der Organisationseinheiten beim personalrelevanten Vorschlagsrecht der/des Leiter:in der Organisationseinheit

 

Die Notwendigkeit der Beibehaltung von Vorschlagsrechten unter Beteiligung kollegialer Vertretungen hat sich sehr rasch nach dem Inkrafttreten des UG 2002 im Jahr 2004 gezeigt. Es bildeten sich satzungsmäßig verankerte Konstrukte der Kooperation mit Beratungs- und Anhörungsrechten des Personals zumindest auf Fakultätsebenen heraus.[9] Aus der Schnelligkeit der Einrichtungen und der Intensität der rechtlichen Verankerung dieser Mitwirkung lässt sich schließen, dass es den Universitätsleitungen schon damals ein Anliegen war, Strukturen der Partizipation zu schaffen. Dies geschah sicherlich nicht aus der Motivation eines Kniefalls vor dem akademischen Mittelbau heraus, sondern aus dem natürlichen Bedürfnis, organisatorische, aber vor allem auch Personalentscheidungen zwar monokratisch legitimiert, aber auf dem Weg der Entscheidungsfindung nicht alleine treffen zu müssen. Wenn nun die Forderung nach gesetzlich fundierter Mitbestimmung des gesamten wiss/künstl. Personals gestellt wird – und die Gewerkschaft sollte das selbstverständlich tun –, so können die Regeln für die unterschiedlichen Modi der Berufungsverfahren durchaus als Vorbild herangezogen werden. An der mdw existiert eine Richtlinie mit verpflichtender Einrichtung eines Beirats, der aus der/dem Institutsleiter:in und mindestens vier bzw. bei studentischen Mitarbeiter:innen (Studienassistent:innen) mindestens zwei weiteren Angehörigen des künstlerischen/wissenschaftlichen Universitätspersonals besteht. Hier zeigt sich eine durchaus nicht nur verhaltene Rückkehr zu einem Partizipationsmodell, das vor zwanzig Jahren auf Betreiben einer Minderheit entschlossen über Bord geworfen wurde. Dies gelte es, wieder an Bord zu holen und in zeitgemäßer Adaption den aktuellen Anforderungen entsprechend, verpflichtend einzurichten.

 

 

Stefan Schön

Referat beim Dialogforum der BL 13 (Universitätsgewerkschaft) der GÖD am 15.5.2024 an der Universität Salzburg



[1] https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXI/VER/5

[2] https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXI/III/146

[3] Univ.-Prof. Dr. Friederike Hassauer (Universität Wien)

[4] Univ.-Prof. Dr. Franz Marhold (Universität Graz)

[5] Univ.-Prof. DDr. Johannes Michael Rainer (Universität Salzburg)

[6] Ass.-Prof. Dr. Peter Unfried (Universität Wien)

[7] Univ.-Prof. Dr. Friederike Hassauer (Universität Wien)

[8] https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXI/III/146

[9] Anneliese Legat, „Dekan und Fakultät nach UOG 1993 und UG 2002“ in UNILEX 1-2/2006