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Pflegereform 2022 – „Schau ma mal, dann seh ma schon“

Längst überfällige Pflegereform: Viele Forderungen wurden nicht umgesetzt!

von

DGKP Christian Husch, BSc BSc MSc MSc

Unabhängiger Gewerkschafter - UGÖD

 

Zwei Pflegepersonen blicken ernst in die Kamera

Am 12. Mai, dem internationalen Tag der Pflege, wurde die lang erwartete und längst überfällige Pflegereform vorgestellt. Es freut mich besonders, dass viele Forderungen der Arbeitsgruppe Gesundheit/Soziales/Pflege (GeSoPfle), der ich ebenfalls angehöre, in die Reform eingeflossen sind. Nur leider nicht in dem Maße, wie es gefordert war.

 

 


Inhalte der Pflegereform

 

Die Reform lässt sich in die drei großen Bereiche Ausbildung, Arbeit und Angehörige gliedern und wird im Folgenden punktuell dargestellt:

 

·       Für Fachhochschul (FH)-Studierende und Auszubildende in Gesundheits- und Krankenpflegeschulen (GuK-Schulen) werden 600 Euro/Monat bezahlt. Für Auszubildende in Sozialbetreuungsberufen und berufsbildenden Schulen gibt es die 600 Euro nur während der Praktikumszeiten. Für vom AMS geförderte Ausbildungen (ausgenommen FH) bietet das AMS ein Pflegestipendium während der Ausbildung an. Dieses beträgt zumindest 1.400,-- Euro.

 

·       Die Ausbildungen zur Pflegeassistenz (PA) und Pflegefachassistenz (PFA) sollen durchlässiger gestaltet und ins Regelschulsystem eingebunden werden. Die Pflegelehre wird als zusätzliches Ausbildungsangebot etabliert. Nostrifizierungen von im Ausland erworbenen Abschlüssen sollen einfacher und unbürokratischer erfolgen können.

 

·       Für Beschäftigte in der Pflege soll es für die Jahre 2022 und 2023 mehr Gehalt in Form eines Gehaltsbonus geben. Die Assistenzberufe Pflegeassistenz (PA) und Pflegefachassistenz (PFA) erhalten erweiterte Kompetenzen beim Infusions- und Injektionsmanagement.

 

·       Der für 2025 geplante ausschließliche Einsatzbereich im Pflegeheim für die Pflegeassistenz wurde aufgrund des hohen Personalbedarfs verworfen.

 

·       Für Aus- und Weiterbildungen soll es einen bedingten Rechtsanspruch geben. Das AMS übernimmt dabei die Ausbildungskosten. Eine Karenzierung während der Ausbildung ist nicht nötig.

 

·       Für Pflegende gibt es eine zusätzliche Entlastungswoche und für einen Nachtdienst, der in Einrichtungen der Langzeitpflege absolviert wird, werden zwei Nachtgutstunden vergütet.

 

·       Die Rot-Weiß-Rot-Karte wird weiterentwickelt und es werden zusätzliche Punkte erteilt für Menschen vom 40. bis 50. Lebensjahr. Für Drittstaatsangehörige soll es einen erleichterten Arbeitsmarktzugang geben, wenn die Ausbildung in Österreich abgeschlossen wurde.

 

·       Für Menschen mit Beeinträchtigungen gibt es eine Erhöhung des Pflegegeldes. Pflegende Angehörige erhalten ab 2023 einen Angehörigenbonus. Die 24-Stunden-Betreuung, Pflegekurse für Angehörige und das Angehörigengespräch werden mehr gefördert. Die Familienbeihilfe wird nicht mehr auf das Pflegegeld angerechnet.

 

 

Konkrete Auswirkungen und Ausblick

 

Diese Reform soll nicht als krönender Abschluss langjähriger Forderungen, sondern als erste wichtige Maßnahme für anknüpfende und hoffentlich weitreichendere Reformen angesehen werden. Die monetäre Förderung für Auszubildende war erforderlich, um Menschen, die sich sonst das Leben während der Ausbildung nicht leisten könnten, zur Berufswahl bzw. zum Berufsumstieg zu motivieren. 600,-- Euro sind aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, insbesondere, weil für Studierende keine Studiengebührenbefreiung enthalten ist, die sich im Semester auf 363,36 Euro plus bis zu 83,-- Euro für zusätzliche Aufwendungen belaufen. Wieso aber nur FH-Studierende und Auszubildende in GuK-Schulen (die 2023 sowieso auslaufen) dauerhaft gefördert werden und Auszubildende aus anderen Berufen und Ausbildungszweigen nur während der Praktika oder bei Erstausbildungen in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMS/BHS) überhaupt nicht, ist unverständlich. Das Pflegestipendium für Quereinsteigende in Höhe von mindestens 1.400 Euro,-- ist sehr gut und wurde auch schon lange gefordert.

 

Die Pflegelehre mit Pflegefachassistenz (PFA)-Abschluss wird trotz breiter Ablehnung als Modellversuch eingeführt. Die Ausbildungsdauer soll vier Jahre betragen und am Bett/am Menschen darf man erst ab dem 17. Lebensjahr arbeiten. Die große Frage ist, wer vier Jahre Ausbildung auf sich nimmt, wenn in anderen Organisationen die PFA-Ausbildung zwei Jahre bzw. ein Bachelor (BSc)-Studium drei Jahre dauert. Entschließt sich jemand, mit 14 die Lehre zu beginnen, kann man faktisch nur in einem Lehrjahr Praktika am Bett mit Menschen absolvieren, was für einen Pflegeberuf, der viel Verantwortung mit sich bringt und auch als Handwerk zu verstehen ist, viel zu wenig ist. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit sich dieses Modell bewähren und auch halten wird.

 

Die erweiterten Kompetenzen für Pflegeassistenz (PA) und Pflegefachassistenz (PFA) spiegeln die Erfordernisse der Praxis. Zu bedenken ist aber, dass es mitunter zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Berufsgruppen kommen kann und dass höherwertige Aufgaben, die früher dem diplomierten Pflegepersonal vorbehalten waren, nach „unten“ auf weniger ausgebildete und schlechter bezahlte Berufsgruppen delegiert werden. Verabsäumt wurde aber die dringende und notwendige Ausweitung der Kompetenzen für Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger:innen (DGKP)/BSc und eine Evaluation der Kompetenzen von Beschäftigten im Rettungswesen. Der generelle Einsatz der Pflegeassistent:innen (PA) im Gesundheitsbereich ist aufgrund der ohnehin angespannten Personalsituation sinnvoll.

 

Der bedingte Rechtsanspruch auf Fortbildungen ist sehr zu begrüßen. Es muss aber sichergestellt werden, dass ein durchgängiger Karriereweg vom PA bis hin zum BSc und in weiterer Folge zum Doktorat ermöglicht wird. Mehrjährige Berufserfahrung soll dabei statt der Matura als Aufnahmekriterium für das BSc-Studium anerkannt werden.

 

Bei der Weiterentwicklung der Rot-Weiß-Rot-Karte für Menschen zwischen 40 und 50 Lebensjahren und bei den Erleichterungen für den Arbeitsmarktzugang für Personen aus Drittstaaten ist der Grundgedanke gut, besonders in Hinblick auf den eklatanten Personalmangel in der Pflege. Die Frage nach der Miteinbeziehung von Asylwerbern bleibt jedoch offen.

 

Das höhere Gehalt in Form eines Gehaltsbonus ist zwar auf den ersten Blick erfreulich, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Grundgehalt und die Zulagen in der Pflege dringend erhöht werden müssen und nicht in Form eines „Zuckerls“ verteilt werden sollen, welches nicht pensionswirksam ist. Wenn ausschließlich 520 Millionen Euro für alle Pflegenden zur Verfügung stehen, ist zu befürchten, dass der Gehaltsbonus sehr gering ausfallen wird und sich nur im untereren dreistelligen, wenn nicht zweistelligen Bereich bewegt. Zu hinterfragen ist auch der Modus der Verteilung. Anhand welcher Kriterien wird verteilt? Sind Pflegende aller Bereiche (Bund, Länder, Gemeinden, Private) berücksichtigt?

 

Die Gewährung von zwei Nachtgutstunden für einen Nachtdienst muss auf alle Bereiche der Pflege ausgedehnt werden und nicht nur auf den Langzeitpflegebereich eingeschränkt bleiben. Es fehlt überdies eine Definition, was unter Langzeitpflege verstanden wird. Fallen Behinderteneinrichtungen und Personen im Maßnahmenvollzug auch unter Langzeitpflege?

 

Die sechste Urlaubswoche war eine langjährige Forderung und wurde endlich umgesetzt. Es gibt Bereiche, die ab dem 43. Lebensjahr oder von vornherein bereits eine sechste Urlaubswoche vorsehen. Eine Erhöhung auf eine siebte Arbeitswoche wäre logisch und sinnvoll gewesen. Leider wurde dies verabsäumt. Außerdem sollte zur rechtlichen Absicherung die sechste Urlaubswoche im Urlaubsgesetz verankert werden.

 

Die Erhöhung des Pflegegeldes für Menschen mit Beeinträchtigungen und Unterstützung für pflegende Angehörige ist zu begrüßen, sollte aber als erster wichtiger Startpunkt für weitere Maßnahmen angesehen werden.

 

Ein großes Versäumnis bei der Pflegereform ist das Fehlen eines geeigneten Modells für die Erhebung des Personalbedarfs und die nachfolgende Erstellung des Personalschlüssels. Es gibt in Österreich keine einheitliche Berechnungsgrundlage für den Personalbedarf.

 

Die Schwerarbeiterregelung wurde in der Pflegereform ebenfalls nicht berücksichtigt. Ebenso fehlen Vorschläge für ein altersgerechtes Arbeiten. Ab einem gewissen Alter ist die direkte Arbeit am Bett nur noch schwer bzw. gar nicht möglich.

 


Schlussfolgerung

 

Summa Summarum bin ich der Meinung, dass diese Reform den Startpunkt für viele weitere und umfangreichere Reformen darstellt und Interessensverbände und Berufsvertretungen mehr eingebunden werden müssen. Besonderes Augenmerk muss auf die Umsetzung der Maßnahmen gelegt werden, damit die Erleichterungen und Gelder auch wirklich bei den Menschen ankommen. Die angeführten Versäumnisse und Unterschiede beim Gehalt, bei der Bezahlung von Praktika und der Ausbildung, Gewährung von Nachtgutstunden und Kompetenzerweiterungen müssen unbedingt ergänzt bzw. korrigiert werden.

 

 

DGKP Christian Husch, BSc BSc MSc MSc

Unabhängiger Gewerkschafter - UGÖD