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Die Lehre aus der Krise

Blutproben im Labor

Lebensgefährliche Herausforderungen

 

Wir erleben eine Pandemie weltweiten Ausmaßes, die für Millionen von Menschen unsägliches Leid und Einschränkungen mit sich bringt. Bestimmte Berufsgruppen – allen voran die im Gesundheitswesen Beschäftigten – stehen vor grenzwertigen und lebensgefährlichen Herausforderungen, andere wiederum vor dem Nichts und fassungsloser Unsicherheit, wenn nicht Hoffnungslosigkeit.

 

In Österreich kann mit Stolz darauf verwiesen werden, dass viele Beschäftigte des öffentlichen Dienstes Großes leisten um die Versorgung des Landes zu gewährleisten. Die enorme Leistungsbereitschaft, viele unter großem Druck beschlossene Notmaßnahmen und vereinzelte Hilfeleistungen über Nationalgrenzen hinweg, all das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es schon zu Beginn der Krise zu bemerkenswerten Pannen kam. Fehlende Schutzkleidung für medizinisches Personal und unzureichende Versorgung der Bevölkerung mit Hygieneartikeln hätte man in der hochindustrialisierten zivilisierten Welt nicht für möglich gehalten. Ein Virus führt uns exemplarisch die Folgen entgleister Austeritätspolitik vor Augen und auch das Defizit derer, die beim Anfertigen von Masken im Fach Textiles Gestalten nicht aufgepasst haben.

 

Moderne Zivilisation unvorbereitet

 

Das Fazit vorweg: Wir brauchen viel mehr Allgemeinbildung und Fähigkeiten quer durch alle Disziplinen und Fächer. Wir brauchen die uneingeschränkte Förderung jener, die bereit sind den steinigen Weg hochkomplexer Ausbildungswege hin zu Expertinnen und Experten vertiefter Fachbereiche zu beschreiten, um später mit ihrem Fachwissen zum Gemeinwohl beizutragen. Wir brauchen Vielfalt in jeder Hinsicht. Wir benötigen dringend eine vollkommene Neugestaltung unseres Wertekatalogs. Wir müssen eine innere menschliche Revolution hin zu einer Akzeptanz der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens und des Respekts vor der Natur vollziehen.

 

 

UGÖD: Mehr Budget für universitäre Forschung

 

Wie gehen Universitäten mit solchem Bedarf zur Veränderung um?

 

Die Universitäten sollen den Staat unterstützen und die Agenda der Third Mission erweitern, damit die globalisierte Abhängigkeit zu Gunsten einer regionalisierten Wirtschaft weichen kann. Aktuell sollten Initiativen gestartet werden, mit welchen die gedankenlose Digitalisierung durch digitale Unabhängigkeit und Verantwortung ersetzt werden kann. Aus den genannten Gründen müssen ohne Aufschub neue Forschungsfelder erschlossen, Transdisziplinarität erhöht und die dafür erforderlichen Studienplanerweiterungen vollzogen werden.

 

Die Arbeitsbedingungen für das Personal der Universitäten müssen deutlich verbessert werden, sozial vertretbare Anstellungsverhältnisse angeboten und forschungsgeleitete Lehre fair entlohnt werden, insbesondere der Arbeitsaufwand der Gruppe der LektorInnen sollte deutlich höher vergütet werden als bisher. Grundsätzlich befürworteten wir die Bemühungen zur Schadloshaltung der Studierenden bis hin zur Schaffung eines „neutralen“ Semesters. Dennoch darf der durch Umstellung auf Distanzlehre und voraussichtliches Nachbringen bzw. Wiederholung von Lehre in der sonst unterrichtsfreien Zeit erforderliche Mehraufwand für das Lehrpersonal nicht übersehen werden.

 

Doppelt geleistete Arbeit und in der unterrichtsfreien Zeit erbrachte Leistung muss abgegolten werden. Mit der Politik fortgesetzter Sparprogramme lassen sich die erforderlichen Impulse in Lehre und Forschung gewiss nicht umsetzen. Vielmehr bedarf es offensiver Investitionen in die Universitäten und deren Personal, mit dem Leistungs- und Forschungsfelder weiterentwickelt und erschlossen werden können.

 

Beinahe-Katastrophe wegen der Kürzungen durch FPÖVP

 

In den letzten drei Jahrzehnten musste sich auch das Personal medizinischer Fakultäten und Universitäten gegen rigorose Sparpläne zur Wehr setzen. Vor nicht einmal zwei Jahren forderten ÖVP und FPÖ von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt Einsparungen, die fast zur Schließung zweier großer österreichischer Spitäler geführt hätten. Das knappe Vorbeischrammen an einer Situation der Triage* in unserem Land und die dramatische Situation in unserem südlichen Nachbarland führen uns die tödliche Gefahr von Verantwortungslosigkeit drastisch vor Augen. Um solchen Fehlentwicklungen wirksam zu begegnen, braucht unser gesamtes Bildungssystem einen Investitions- und Innovationsschub, Öffnung, Wertschätzung und Anerkennung. Auf diese Weise fördern wir die Heranbildung von kritikfähigen und eigenständig denkenden Menschen, ohne die sich Krisen dieser Größenordnung und selbst kleinerer Ausprägung nicht bewältigen lassen. Wem jetzt qualifiziertes Nachdenken und Forschen nichts wert ist, der wird nicht nur an der Bewältigung der anhaltenden, sondern auch an den notwendigen Vorkehrungen vor weiteren Pandemiewellen scheitern.

 


*Triage = Einteilung, Kategorisierung von Patienten nach der Dringlichkeit und dem voraussichtlichen Erfolg der Behandlung


Dr. Stefan Schön

 

Pressesprecher des Verbands des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals der österreichischen Universitäten (ULV),

stv. Vorsitzender der Universitätengewerkschaft in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, Vorsitzender des Betriebsrats für das wissenschaftliche und künstlerische Personal an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien