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Feindbild Arbeitnehmer:in

Kann Teilzeit Sozialbetrug sein? Kassieren Pflegekräfte Mehrfachpensionen? Mit der geblockten Arbeitsteilzeit heimlich in die Frühpension?

Ein Schweißer in der Werkstatt

Der Arbeitsmarkt ist irgendwie aus dem Ruder. Klar ist, dass es an den Arbeitnehmer:innen liegen muss, ungewöhnlich, dass es deren zu wenig gibt. Können die nicht, wollen die nicht? Klar ist auch, dass es „Schuldige“ braucht, gegen die man vorgehen kann und „muss“. Gehen wir sie durch, die Diskriminiertenskala:


Ältere Arbeitnehmer:innen

 

Mit der Einführung der geblockten Arbeitsteilzeit im Jahr 2000  schuf man für arbeitende Menschen mit altersadäquaten Interessen und gegebenenfalls gesundheitlichen Einschränkungen einen gleitenden Übergang in die Pension. Das Modell sieht bzw. sah vor, dass ein Teil des Gehalts durch das Altersteilzeitgeld vom Arbeitsmarktservice finanziert wird bzw. wurde. Offensichtlich soll dieser bescheidene Budgetposten nun Anlass dafür sein, das Modell schrittweise abzuschaffen, obwohl die Regierung selbst aktiv damit argumentiert, dass die Zahl der Interessent:innen abgenommen hat. Der Hinweis auf die Pandemie der letzten drei Jahre könnte übrigens helfen, die Ursachenforschung seriöser anzulegen. Überhaupt ist der budgetäre Aspekt in diesem Zusammenhang unangebracht, weil es sich um ein soziales Modell zum Vorteil aller handelt und nicht nur das: Mit seiner Abschaffung gehen Anreiz und Signalwirkung für die Privatwirtschaft verloren, den verdienstvollen, langgedienten Arbeitnehmer:innen ein passendes Arbeitsumfeld zu schaffen, ihre Bedürfnisse zu respektieren und ihr wertvolles Knowhow einfließen zu lassen. Stattdessen wirtschaftliche und soziale Kompetenz über Bord und weg mit den Alten! Eine komische Ansage in der noch langanhaltenden Phase einer Pensionierungswelle.

Pflegende von nahen Angehörigen

 

Es hätte so erfreulich selbstverständlich und anständig sein können, dass pflegende Angehörige in der Pension sich freiwillig selbst versichern und damit eine Pensionserhöhung erwirken hätten können. Im September letzten Jahres hat der Oberste Gerichtshof genau das für rechtens erklärt. Der Regierung hat das aber gar nicht geschmeckt. Zwei Monate später, im November 2022 war der Initiativantrag fertig und so durchs Parlament gejagt, dass die Gesetzesänderung zur Abschaffung dieses „Privilegs“ für pensionierte Pflegende von Angehörigen noch am 1.1.2023 in Kraft treten konnte. Quasi parlamentarische Lichtgeschwindigkeit zur Abwendung von, ja wovon eigentlich? Von der Tatsache, dass sich pensionierte Pflegende durch angesparte Eigenleistung (!) ihre Pension aufbessern hätten wollen? „In Zeiten des akuten Pflegenotstandes, wo sich mehr als die Hälfte der Pflegenden – und das sind eben Frauen – bereits in Pension befinden, ist Ihr Antrag (Gesetzesantrag der Regierung, Anm.) ein Schlag ins Gesicht dieser Frauen.“ schreibt die UGÖD-Personalvertreterin und HTL Lehrerin in Innsbruck, Mag. Edith Beck-Wilhelm, und ist damit – wenn man der neuen Parlamentswebseite glauben darf – die einzige Bürgerin unseres Landes, die eine Stellungnahme im Begutachtungsverfahren abgegeben hat. Zugegeben, schlechtes Zeitfenster: Abschließende Beschlussfassung im Bundesrat war der 20.12.2022.


Begehen Teilzeitbeschäftigte Sozialbetrug?

 

„Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen", wird Arbeitsminister Kocher in einem Interview zitiert. Ist das politisches Kalkül, das Austesten von Reizschwellen, oder vielleicht doch nur die unerträgliche Leichtigkeit von tendenziösem Rechnen? Nehmen wir eine junge Arbeitnehmerin, die (privat) auch Mutter ist. Ab Geburt Ihres Kindes (nach der Karenz) hat sie sich für eine 50%-ige Teilzeitarbeit entschieden. Also die Hälfte vom normalen Deputat. Für den Minister demnach nur mehr halb so viel Grund, Sozialleistungen zu zahlen. Verschreibt ihr der Arzt ab jetzt ein Medikament, kriegt sie nur mehr die halbe Dosis. Bekommt sie ein weiteres Kind, muss sie für die halben Entbindungskosten selbst aufkommen. Für ihre Familie nur mehr die halbe Familienbeihilfe. Zu polemisch? Welche seriösen Interpretationsmöglichkeiten gibt es denn für den eingangs zitierten Satz? Jedenfalls keine in der Sache selbst. Die Leistungen des österreichischen Sozialstaates sind eine Ausprägung des Solidaritätsprinzips und nichts, was „von oben“ verordnet wird. Die Unterstellung teilbeschäftigten Sozialschmarotzertums entspringt wiederum dem primitiven Einmaleins im irrationalen Ursachendschungel. Kein Mensch entschließt sich für die Teilbeschäftigung, um trotzdem (!) volle Sozialleistungen zu bekommen. Der Grund für die schwache Nachfrage nach freien Stellen liegt schlicht und einfach in den überwiegend schlechten Arbeitsbedingungen, dazu zählt auch, aber längst nicht nur, die schlechte Bezahlung. Der Arbeitskräftemarkt unterliegt den beinharten Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes, so wie alles andere auch. Was der Arbeitsminister der Regierung empfehlen und dem Nationalrat vorlegen muss, sind Lenkungseffekte, welche die vollumfängliche unternehmerische Verantwortung der Seite der Arbeitgeber:innen ansprechen müssten. Verantwortung zur Schaffung zeitgemäßer, moderner Arbeitsplätze. Investitionen für Arbeitsbedingungen, die für gutes Arbeitsklima und menschengerechte Arbeitsumgebungen sorgen, zum Beispiel. Arbeitszeitmodelle, die den Menschen entgegenkommen, und nicht einer lebensfremden Logistik, zum Beispiel. Sozialleistungen sollten eine Selbstverständlichkeit und kein Instrument für Imponiergehabe und Demonstration von Hierarchie sein.

Schlagseite zur Macht beseitigen

 

Als 2018 der 12-Stunden-Tag gegen massive Proteste von Seiten der Arbeitnehmer:innen beschlossen wurde, führten bemerkenswerter Weise viele Unternehmen ins Treffen, dass diese neue Obergrenze der Arbeitszeit nicht gegen den Willen von Arbeitnehmer:innen durchgesetzt werden könne. Klar, das ist naiv, angesichts eines nur bescheiden existierenden Kündigungsschutzes und der riesigen Zahl an prekären Arbeitsverhältnissen. Aber das Argument ist geeignet genug, um es in die umgekehrte Richtung zu lenken. Helfen Sie, sehr geehrter Herr Arbeitsminister sinnvoll mit, Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten. Sie könnten ausnahmsweise darauf vertrauen, dass die geblockte Altersteilzeit wirklich nur von jenen in Anspruch genommen wird, die sie brauchen. Es gab und gibt übrigens ohnehin keinen Rechtsanspruch darauf, ähnlich wie umgekehrt auf die 12 Stunden pro Tag (s. o.). Sie werden sehen, Sie können sich auch die Drohung der Reduktion von Sozialleistungen sparen und das Interesse an vollbeschäftigten Arbeitsverhältnissen unter der Voraussetzung der Schaffung attraktiver Arbeitsplätze wird erwartungsgemäß steigen.

 

Stefan Schön
Pressesprecher der UGÖD