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Nachlese: UGÖD-Café zur Chancengleichheit im Gesundheitswesen

Chancengleichheit im Gesundheitswesen: Utopie oder realisierbare Forderung?

Ein Arzt sieht nachdenklich zu Boden

Nachlese zum UGÖD-Café vom Di. 18. 4. 2023

 

Das Café wird von der UVA-UG und deren Vertretern Dr. Eiko Meister und Mag. Gerhard Mariacher, beide Betriebsräte am LKH Universitätsklinikum Graz ausgerichtet.

 

Bedauerlicherweise hat sich für das Café keine Keynotespeaker:in gefunden, sodass die Keynote von Eiko Meister übernommen wird. Beginnend mit der Definition von Chancengleichheit entnommen aus der Publikation „Gesundheitsbezogene Chancengleichheit der Gesundheitsförderung Schweiz 2006“: (Chancengleichheit bezeichnet sowohl ein Wettbewerbsprinzip als auch ein Grundrecht. Chancengleichheit postuliert das Recht auf eine faire und gerechte Verteilung von Gütern und Lebenschancen. Niemand darf aufgrund von zugeschriebenen Merkmalen (wie Geschlecht, Alter, Hautfarbe) oder aufgrund seines sozialen Status (Bildung, Beruf, Einkommen) diskriminiert werden.) wird über die Rechtsgrundlagen der Chancengleichheit in Österreich gesprochen.

Neben Bundesgesetzen, wie dem Bundes-Gleichheitsbehandlungsgesetz und allfälligen Rechtsgrundlagen auf Länderebenen, sind insbesondere im Gesundheitswesen auch die diversen Berufsrechte beachtlich und können teilweise Chancenungleichheit herbeiführen.

 

Zudem gibt es eine formelle Empfehlung der EU-Kommission aus dem Jahr 2008 zur aktiven Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen. Österreich ist im EU Vergleich hier durch die aktive Politik seitens des AMS vergleichsweise gut aufgestellt.

 

Weiters wird das Ergebnis einer Literaturrecherche vorgestellt, aus dem ersichtlich ist, dass insbesondere im Zeitraum zwischen 2005 und 2008 etliche Publikationen zum Thema Chancengleichheit im Gesundheitswesen erfolgt sind. Diese Studien geben auch deutliche Hinweise darauf, welche Lösungsansätze verfolgt werden sollten. Insbesondere in Deutschland wird diesem Thema größere Aufmerksamkeit gewidmet und bestehende Gesetze werden aktuell mehreren Novellen unterzogen. Allerdings ist bemerkenswert, dass - insbesondere im öffentlichen Bereich - das Thema Chancengleichheit nur sehr zögerlich angegangen wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass insbesondere im Bereich der deutschen Gesundheitsindustrie multinationale Konzerne in dieser Fragestellung tonangebend sind. Im europäischen Kontext sind es insbesondere die skandinavischen Länder, die bei der Umsetzung der Chancengleichheit führend sind.

 

Gerhard Mariacher berichtet aus seinem persönlichen Arbeitsbereich in der Krankenhausverwaltung: Verwaltung bedeutet hier deutlich mehr, als die reine Verwaltung, sondern es betrifft auch Einkauf, Lagerung, Logistik, Reinigung und weitere Bereiche. Ein zunehmendes Problem ist der Trend zu befristeten Dienstverträgen und zum Outsourcing von diversen Leistungen, wie beispielsweise der Reinigung.

 

Das Thema Inklusion von Menschen mit besonderen Bedürfnissen wird in letzter Zeit zunehmend sträflich vernachlässigt; es kommt sogar zum Abbau von geschützten Arbeitsplätzen. Dabei wären Menschen mit besonderen Bedürfnissen sehr gut beispielsweise in Küchen oder in der Essensversorgung zu beschäftigen.

 

Auch die Anzahl der Nationalitäten, die im Gesundheitswesen tätig ist, wäre ohne Probleme steigerbar. Gerhard Mariacher erinnert an die großzügige Beschäftigung von tschechischen diplomierten Pflegekräften in den 1990er Jahren, aber auch eine rezente Presseaussendung des AKH‘s Wien, in der stolz über mehr als 100 Nationen berichtet wird, die in diesem Spital beschäftigt sind. Er sieht als zentrales Problem in der Personalbesetzung den extremen politischen Einfluss, der in den öffentlichen Spitälern herrscht. Insbesondere bei der Besetzung von Führungspositionen scheint die politische Überzeugung und Zugehörigkeit wichtiger als die Qualifikation zu sein. Weiters ortet Gerhard Mariacher ein gravierendes Bildungsproblem bei den Führungskräften im Hinblick auf Qualifikationen der Personalführung. Ein zusätzliches Problem ist der großzügige Verzicht auf die Expertise älterer Mitarbeiter:innen, sodass Altersgruppen von 55+ wenige Chancen haben entsprechende Führungspositionen zu übernehmen.

Eiko Meister widmet sich in den weiteren Ausführungen den medizinischen Berufen. Beginnend mit der großen Berufsgruppe der Pflege, in der alle Berufe von der Pflegeassistenz bis hin zur diplomierten Pflege umfasst sind, ist das zentrale Problem das Geschlechtskriterium. Die Pflege ist weiblich, die operative Führung ist weiblich, aber die strategische Führung ist männlich besetzt. Ein wesentliches zusätzliches Problem ist die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Dies führt über Teilzeitbeschäftigungen wieder zum Problem des Gender-Pay-Gap und des Gender-Pension-Gap.

 

Weiters ist innerhalb der Pflege wegen des streng hierarchischen Systems eine Aufstiegschance eines/r Pflegeassistenten/in zu einer Stationsleitung faktisch verwehrt. Zugleich hat auch die Akademisierung der Pflege über das Studium der Pflegewissenschaften zu einem Überangebot geführt.

Ähnlich verhalten sich die Probleme bei den medizinisch-technischen Berufen. Hier kommt erschwerend hinzu, dass Menschen mit körperlicher Einschränkung (beispielsweise Seheinschränkungen) keine Chance haben die Berufsausbildung abzuschließen, da ein integraler Bestandteil das Mikroskopieren ist. Für stark Fehlsichtige gibt es keine Möglichkeiten das Mikroskopieren adäquat zu erlernen. Wie in der Pflege werden Führungspositionen noch immer geschlechtsspezifisch überwiegend männlich besetzt.

 

Bei den Ärzt:innen ziehen sich die Probleme aus dem Pflegebereich und den technischen Bereichen weiter durch. Kinder und Familie produzieren fast zwangsläufig einen Karriere- und Einkommensknick. Inklusion ist im ärztlichen Bereich während der Ausbildung kaum umsetzbar, im Berufsleben faktisch nicht umgesetzt. Ausnahmen bestätigen die Regel - beispielsweise wie die Ausbildung im Zweitfach bei Rollstuhlfahrern (Fächer mit geringer physischer Belastung wie Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin).

Für den gesamten Bereich der Gesundheitsberufe kann pauschalierend festgehalten werden, dass das Problem Diversität überwunden scheint. Eine Ausnahme ist hier gegebenenfalls bei konfessionellen Trägern gegeben.

In der folgenden Diskussion werden insbesondere die Themenbereiche von all-in-Verträgen, Auslagerung von Bereichen (beispielsweise Reinigung) und die ungelöste Problematik von Teilzeitkräften diskutiert. Weiters wird die Pensionierungswelle der Babyboomer und der sich dadurch ändernde Arbeitsmarkt besprochen. Auch die momentane Kündigungswelle aus dem öffentlichen Gesundheitswesen ist multifaktoriell, aber oftmals durch die fehlende Flexibilität der Führungskräfte und Dienstgeber:innen ausgelöst. Über alle Berufsgruppen zieht sich eine weitere Zunahme der Arbeitsverdichtung, da durch den mittlerweile ubiquitären Personalmangel auf das Individuum mehr Arbeit abgewälzt wird. Die Industrialisierung des Gesundheitswesens schreitet ungebremst voran.

 

Insbesondere im öffentlichen Bereich scheint ein gnadenloser Sparwille vorhanden zu sein, ohne dass auf die Folgewirkungen Rücksicht genommen wird. Die zuständige verantwortliche Politik befindet sich im Wesentlichen im Dauerwahlkampf und sieht als Zeithorizont ihrer Aktivitäten bestenfalls den Zeitpunkt der nächsten Wahl. Wirkliche Vorausplanungen über 2 Dekaden sind faktisch nicht vorhanden. Der Rückzug des Staates aus seinen Kernkompetenzen in den letzten 15 Jahren wird mittlerweile durch die Krise im Gesundheitswesen evident und bedarf einer starken Stimme der unabhängigen Gewerkschafter:innen, um hier auf die kommenden Probleme deutlich hinzuweisen und rechtzeitig (nicht nur im Gesundheitswesen) gegenzusteuern.

 

Resümierend ist festzuhalten, dass Chancengleichheit im Gesundheitswesen noch immer eine Utopie ist. Es liegt insbesondere im Aufgabenbereich der Gewerkschaften und Berufsvertretungen hier Rahmenbedingungen zu fordern, die Arbeit und Leben in diesen Berufen erstrebenswert machen. Somit wäre Chancengleichheit bei einem Umdenken der Gesellschaft realisierbar.

 

Als Lösungsansätze wären zu erwähnen:

  • Überwinden des Gender-Pay-Gap
  • Optimierung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in allen Rahmenbedingungen
  • Flexible Dienstzeit-Gestaltung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Teilzeitkräften
  • Zurückdrängen von befristeten Verträgen, damit Schaffung von Planungssicherheit für die nähere Zukunft
  • Führungstrainings für Führungskräfte forcieren
  • Lebenslange Weiterbildung unterstützen und die Menschen mit diesen Qualifikationen adäquat einsetzen
  • Wertschätzung als zentrales Element der Mitarbeiter:innen-Führung

 

Eiko Meister