
Gute Gründe für Selma, Anna und Olivia: 3 junge Arbeitnehmerinnen im öffentlichen Dienst erzählen
Selma, 29
Hallo! Danke, dass du dir für unser Gespräch Zeit nimmst. Kannst du dich und deinen Tätigkeitsbereich ein bisschen vorstellen?
Ich heiße Selma, bin 29 Jahre alt und Juristin in der Hoheitsverwaltung. Ich bin Abteilungsleiterin im Bereich Bau-Angelegenheiten einer Großstadt und beschäftige mich mit Themen rund um Bauen, Bebaubarkeit und Städtebau.
Gibt es einen Bereich in deiner Arbeit, der dir besonders viel Freude macht?
Ja, die Digitalisierung. Mein Spitzname in der Abteilung ist „Digitalisierungs-Koryphäe“, weil mich das Thema sehr interessiert und ich mich einfach gerne damit beschäftige. Ein Hauptproblem in der öffentlichen Verwaltung ist, dass wir in dieser Hinsicht echt nachhinken. Ich mach mir gern Gedanken darüber, wie man bestimmte Verfahren und Prozesse verschlanken und beschleunigen kann.
Und gibt es in deiner Arbeit etwas, das dich frustriert?
Da fallen mir zwei Dinge ein. Zum einen wäre da die Politik, die oft wo reinspielt und gewisse Wege unnötig lange und mühsam macht. Die Kommunikation zwischen verschiedenen Stellen gestaltet sich aufgrund politischer Befindlichkeiten oft schwierig und langwierig und auch der Informationsfluss ist nicht besonders effizient – das kann schon frustrierend sein. Zum anderen gibt es auch Herausforderungen am Arbeitsplatz selbst. Wenn man jung und motiviert ist, werden einem mitunter Steine in den Weg gelegt und man wird ausgebremst. Ideen und Veränderungsvorschläge werden nicht so gerne gesehen. Wenn man dann nicht genug Rückendeckung von den Vorgesetzten hat, kann das sehr anstrengend sein.
Bist du selbst Gewerkschaftsmitglied? Warum?
Ja, natürlich. Gewerkschaftliche Vertretung ist so wichtig, davon bin ich als Juristin überzeugt. Mir war auch klar, dass ich selbst aktiv sein möchte, daher bin ich auch im Dienstellenausschuss. Man geht ja nicht nur aus reinem Eigeninteresse zur Gewerkschaft - auch der Solidargedanke ist wichtig. Daher war mir von Anfang an völlig klar, dass ich zur Gewerkschaft gehe. In meinem Umfeld gibt es auch ein bisschen die Meinung, dass wir Jurist:innen ja eh keine gewerkschaftliche Vertretung brauchen, weil wir uns Probleme selbst ausstreiten können. Das sehe ich etwas anders, da es ja nicht nur um das fachliche Know-How geht, sondern auch um das Vernetzt-Sein und Gehört-Werden.
Sind bei euch viele Arbeitnehmer:innen Gewerkschaftsmitglieder?
Nein, gar nicht, bei uns ist die Gewerkschaft schwach und die Mitgliederzahlen gehen sogar zurück. Warum weiß ich gar nicht so genau. Es geht da wohl auch viel um Befindlichkeiten – wenn einem die Gewerkschaft einmal nicht helfen konnte, heißt es vielleicht gleich „die Gewerkschaft tut eh nix für mich, die brauch ich nicht“. Die älteren Gewerkschafter:innen bemühen sich auch oft gar nicht, den Jungen ein Aktiv-Werden schmackhaft zu machen. Die laufen halt zufrieden mit einem Kaffeehäferl herum und das wars.
Was würde es in deinen Augen brauchen, um die Gewerkschaft für junge Arbeitnehmer:innen attraktiver zu machen?
Ich glaube, dass es wichtig wäre, dass die Gewerkschaft von Anfang an viel präsenter ist und sich wirklich ganz spezifisch an junge Menschen richtet. Das kann zB schon beim Onboarding passieren, dass die Gewerkschaft aktiver dabei ist, damit man sie von Anfang an kennt. Auf Dienststellenebene passiert das eh bereits, aber das reicht nicht. Außerdem verabsäumen die Gewerkschaften in meinen Augen das change management, es fehlen Überlegungen zum Generationenwechsel. Es halten sich noch viele der „alten“ Mythen und Überlegungen. Eigene Jugend-Referate sind super, aber die Jungen sollten bei allen Themen und Schwerpunkten mitgedacht und angesprochen werden. Und die Gewerkschaft sollte mehr und stärker kommunizieren. Sie hat viele Dinge erkämpft und sich für so vieles eingesetzt, aber kommuniziert das einfach nicht laut genug. Da hört man dann oft im Umfeld „die Gewerkschaft schafft eh nix“, aber das stimmt ja nicht. Die Arbeiterkammer hat halt den Vorteil, dass sie automatisch Mitgliedsbeiträge vom Gehalt abzwackt, das haben wir im öffentlichen Dienst mit unserer Vertretung leider nicht.
Wo siehst du deine eigene berufliche Zukunft? Bleibst du dem öffentlichen Dienst treu?
Das ist eine Frage, die ich mir auch öfters stelle. Mir ist wichtig, dass ich eine sinnhafte Arbeit mache, ich muss nicht für Banken oder Konzerne Profite scheffeln. Grundsätzlich fühle ich mich im öffentlichen Dienst wohl, weil er gut mit meinen Werten zusammenpasst. Aber es gibt echt viele Hürden, mit denen man die Leute vergraulen kann. In den letzten vier Jahren habe ich viele junge Leute kommen und gehen sehen. Die Schlagworte vom „sicheren Job“ im öffentlichen Dienst ziehen nicht mehr. Das war vielleicht während Corona kurz ein Argument, aber die Ängste vor einem Jobverlust und das Bedürfnis nach dem einen sicheren Job sind mehr bei den älteren Kolleg:innen verankert. Der Job ist auch nicht so attraktiv, wie oft getan wird – die Krankenversicherung ist nicht besser als anderswo, Pragmatisierung gibt es keine mehr, wir haben zB nicht einmal eine Kantine. Mit diesem „sicherer Job“-Narrativ kann man die Jungen nicht mehr ködern. Wir sagen gern, dass man im öffentlichen Dienst 5x so viel Geduld braucht wie in der Privatwirtschaft – wer sie hat, der bleibt, wer sie nicht hat, der geht. Da geht viel Potential verloren. Grundsätzlich glaube ich, dass man auch aus der Privatwirtschaft einen guten Einfluss auf die Verwaltung nehmen kann. Es ist aber auf jeden Fall ein sinnhafter Job im öffentlichen Dienst und das gefällt mir – und nachdem im öffentlichen Dienst ja eigentlich eh immer Leute gesucht werden, steht einem der Weg zurück ja ohnehin immer offen.
Vielen Dank für das spannende Gespräch! :)
Anna, 32
Hallo! Danke, dass du dir für unser Gespräch Zeit nimmst. Kannst du dich und deinen Tätigkeitsbereich ein bisschen vorstellen?
Ich heiße Anna, bin 32 Jahre alt und Richteramtsanwärterin. Im Grunde bin ich also Richterin in Ausbildung. Die Ausbildung dauert 4 Jahre und ich bin schon fast am Ende meiner Ausbildungszeit angelangt. Ich darf unter Aufsicht meiner Ausbildungsrichter:innen schon selbst verhandeln und Urteile schreiben. Ich wechsle alle paar Monate in eine andere Abteilung und lerne auf diese Weise viele unterschiedliche Bereiche kennen: Bezirksgerichte, das Landesgericht, Insolvenzrecht, Arbeitsrecht, die Staatsanwaltschaft – alles ist dabei. Ich bin dort jeweils einem Richter/einer Richterin zugeteilt und arbeite diesen zu. Am Ende des Ausbildung steht dann die Richteramtsprüfung.
Wie bist du auf die Idee gekommen, Richterin zu werden?
Das war gar kein Plan von mir, das hat sich so ergeben. Ich habe begonnen Jus zu studieren und war nicht einmal sicher, ob das etwas für mich ist. Als ich gemerkt habe das passt, hab ich überlegt Anwältin zu werden. Nach meinem Abschluss bin ich dann noch fünf Jahre an der Uni geblieben. Ich war neugierig, wie das Gerichtsjahr wohl sein wird und habe mich dafür angemeldet. Ich hatte gar keine Vorstellung davon, aber es hat mir super getaugt und deshalb bin ich geblieben.
Was macht dir an deiner Arbeit besonders viel Freude?
Ich mag den Kontakt mit den Menschen sehr gerne. Die Ausbildung ist überhaupt nicht trocken-juristisch, sondern sehr lebendig. Man lernt viele verschiedene Arten von Menschen kennen, man sieht sehr viel – natürlich auch Abgründe, aber auch viel Schönes. Es „menschelt“ im besten Sinne des Wortes.
Gibt es auch einen Aspekt, den du als frustrierend empfindest oder den du ändern würdest?
Nicht wirklich. Die Ausbildung ist sehr spannend und vielfältig aufgebaut. Aber das regelmäßige Wechseln von einem Bereich oder Gericht zum nächsten – oft im 2-Monats-Takt – kann mit der Zeit natürlich anstrengend werden. Man kommt wo an, lernt sich kennen, arbeitet sich ein – und kaum ist man drinnen, heißt es verabschieden und weiterziehen. Aber gleichzeitig ist es wichtig, diese ganzen unterschiedlichen Bereiche kennenzulernen, daher passt das schon.
Hast du eine Bereich, in dem du nach der Prüfung arbeiten möchtest?
Grundsätzlich würde mich der Zivilrechtsbereich interessieren, aber das kann man sich am Anfang nicht so aussuchen, weil man sich üblicherweise auf alle ausgeschriebenen Stellen bewirbt. Oft wird man am Anfang auch als Sprengelrichter oder Vertretungsrichter eingesetzt, etwa wenn jemand wo ausfällt.
Wie sieht es in eurer Berufsgruppe mit der Gewerkschaft aus? Bist du Mitglied?
Ja sicher, wir Richteramtsanwärter:innen sind eigentlich fast alle dabei. Bei uns sind
auch so gut wie alle in der Richtervereinigung. Die Beiträge für beides zusammen sind monatlich nicht einmal so unerheblich – gerade für Richter:innen in Ausbildung – aber die
Gewerkschaftsmitgliedschaft zahlt sich im wahrsten Sinne des Wortes aus. Es gibt zB auch finanzielle Unterstützung bei Prüfungen, das heißt die Vorteile einer Mitgliedschaft liegen auf der
Hand.
Was ist das Erfolgsgeheimnis, dass junge Arbeitnehmer:innen in
eurem Bereich so zahlreich zur Gewerkschaft gehen?
Wir Jurist:innen sind da vielleicht mehr pragmatisch als ideologisch. Die Mitgliedschaft bringt uns was, daher sind wir dabei. Einzelne haben sicher auch ideologische Gründe, weil sie etwa solidarisch sein möchten, aber grundsätzlich schätzen wir alle die Gewerkschaft. Unser Vertreter ist auch ein supersympathischer Typ, der mich einfach angesprochen und mir von den Vorteilen der Gewerkschaft erzählt hat. Daher bin ich dazu gegangen. Auch bei der Ernennung von uns Richteramtsanwärter:innen war ein Gewerkschaftsvertreter dabei, der aktiv auf uns Junge zugegangen ist. Natürlich kennen wir uns als Jurist:innen theoretisch selbst bei rechtlichen Themen aus und könnten uns einlesen, aber die Gewerkschaft bietet einfach guten Service. Ich hatte zB Fragen wegen meines Mutterschutzes und hab mich diesbezüglich bei der Gewerkschaft gemeldet und informiert. Auch im Fall von haftungs- und disziplinarrechtlichen Problemen ist es praktisch, eine gewerkschaftliche Vertretung zu haben, sollte man sie brauchen. Bei uns ist es die Mischung aus direkten Ansprechpersonen, sympathischen Funktionären und konkreten Vorteilen, die die Gewerkschaft erfolgreich macht. Wichtig ist, dass die Gewerkschaft ganz klar kommuniziert, was sie alles zu bieten hat – das ist ihr bestes Argument.
Nach deiner langen Ausbildung ist die nächste Frage vermutlich redundant, aber: Wo siehst du dich beruflich mittel- bis langfristig? Bleibst du dem öffentlichen Dienst treu?
Ja, ich hab jetzt fast vier Jahre in meine Ausbildung investiert und bin immer noch begeistert. Ich freu mich schon sehr darauf, bald wo Wurzeln zu schlagen und an einer Stelle länger zu bleiben. Aber lustigerweise habe ich mich bis zum Gerichtsjahr tatsächlich nie im öffentlichen Dienst gesehen. Ich komme aus einem Unternehmerhaushalt und bin eigentlich immer davon ausgegangen, dass ich mich einmal selbstständig machen werde.
Vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke! :)
Olivia, 24
Hallo! Danke, dass du dir für unser Gespräch Zeit nimmst. Kannst du dich und deinen Tätigkeitsbereich ein bisschen vorstellen?
Ich heiße Olivia, bin 24 Jahre alt und Lehrerin an einem Abendgymnasium, wo ich Englisch und Geschichte & Politische Bildung unterrichte. Unser Aufgabenspektrum ist grundsätzlich sehr breit. Wir sind einerseits Fachwissenschafter:innen, das heißt wir konzipieren den Unterricht, bereiten ihn didaktisch auf und überlegen uns passende Methoden. Gleichzeitig sind wir aber natürlich auch viel mehr, wir sind Mentor:innen, Vorbilder, oft auch Motivator:innen. Was bei uns am Abendgymnasium wegfällt, ist der erzieherische Aspekt, weil unsere Studierenden 16+ sind. Das ist an anderen Schulen natürlich anders. Zu uns kommen viele junge Menschen mit psychischen Erkrankungen und Neurodivergenzen, was natürlich auch Auswirkungen auf uns hat und die Art, wie wir unterrichten und interagieren. Hier sind wir als Schule auch ein Auffangnetz, das Stabilität vermittelt.
Welcher Aspekt deines Berufs gefällt dir besonders gut?
Auf der einen Seite die Vielseitigkeit. Wir haben so viele verschiedene Aufgaben – organisatorische, inhaltliche –, da wird nichts fad. Und auf der anderen Seite eben das Zwischenmenschliche. Wir haben bei uns an der Schule oft sehr enge Beziehungen zu unseren Studierenden und das ist echt schön. Man kann theoretisch die inhaltlich selbe Unterrichtsstunde in zwei Gruppen machen und es ist trotzdem eine ganz andere Stunde. Das ist sehr spannend und bereichernd, man kann immer was Positives mitnehmen.
Welche Probleme verortest du in deinem Berufsfeld?
Naja, es ist ja ein offenes Geheimnis, dass unser Bildungssystem strukturelle Probleme hat. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Das beginnt beim Lehrermangel, geht aber darüber hinaus. Viele Schüler:innen mit nicht-deutscher Muttersprache hätten einen großen Bedarf an einem entsprechend aufbereiteten Deutschunterricht, aber dafür fehlen die Ressourcen. Genauso fehlt es an Unterstützungspersonal wie Sozialpädagog:innen oder psychologischem Fachpersonal.
Welche Erfahrungen hast du mit deiner Ausbildung gemacht? Lassen sich Studium und Unterrichtstätigkeit gut vereinbaren?
Das ist tatsächlich eine Herausforderung, die schwer zu organisieren ist. Ich kenne viele junge Lehrer:innen, die schon Vollzeit unterrichten und dadurch das Studium liegen lassen. Diese Doppelbelastung Studium/Beruf wird von den starren Regelungen verschärft. Hier würde ich mir viel mehr Kulanz und Unterstützung für die jungen Kolleg:innen von allen Beteiligten wünschen – den Direktionen, den Unis & Hochschulen mit ihren Professor:innen und von der Politik & den Bildungsdirektionen. Ich hab das große Glück, dass ich viel Unterstützung und Entgegenkommen von meiner Schulleitung erfahre, aber das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Von vielen Studienkolleg:innen weiß ich, dass sie dieses Glück nicht haben. Der Arbeits- und Organisationsaufwand ist enorm und für viele sehr herausfordernd.
Olivia, bist du Gewerkschaftsmitglied? Welche Erfahrungen hast du mit der Gewerkschaft gemacht?
Natürlich bin ich Gewerkschaftsmitglied, das war einer meiner ersten Schritte, als ich zu unterrichten angefangen habe. Ich unterrichte ja unter anderem Geschichte & Politische Bildung und da gehört es sich quasi, dass man zur Gewerkschaft geht, schon aus Prinzip. Die Sozialpartnerschaft ist eine so wichtige Errungenschaft für unsere Demokratie und verdient unsere Unterstützung. Die Gewerkschaft hat historisch so viel für die Arbeitnehmer:innen geleistet und tut es nach wie vor. Ich selbst hab bisher nichts von der Gewerkschaft „gebraucht“, aber es ist einfach gut zu wissen, dass es eine rechtliche Absicherung und eine kompetente Anlaufstelle gibt.
Was würdest du dir als Junglehrerin von deiner gewerkschaftlichen Vertretung wünschen?
Für mich sind insbesondere die rechtlichen Informationen spannend und wichtig. Ich bekomme im Austausch mit meinen Kolleg:innen an den Tagesschulen etwa mit, dass die Noteneinsprüche dort mittlerweile stark zunehmen. Da geht es für uns dann um die Frage, wie man sich ganz konkret absichern kann, was etwa zu dokumentieren ist. Und die Diskussion altes Dienstrecht/neues Dienstrecht ist natürlich auch gegenwärtig sowie die damit verbundenen Ungerechtigkeiten. Das fällt insbesondere an den Abendschulen auf, wo im neuen Dienstrecht die Aufwertung der Stunden ab 18.30 wegfällt. Ich würde mir vielleicht noch mehr ganz konkrete und kompakt aufbereitete Informationen zu rechtlichen Fragen wünschen, die uns im Lehrer:innen-Alltag betreffen.
Viele Lehrer:innen suchen ja ein Exit Scenario aus dem Beruf. Wie siehts bei dir aus, bleibst du dem öffentlichen Dienst erhalten?
Ja, das ist der Plan. Ich bin sehr zufrieden, wo ich derzeit bin, und habe kein Bedürfnis nach Veränderung. Natürlich weiß man nie, was irgendwann in der Zukunft ist, fix ist ja bekanntlich nix, aber momentan passts super und ich bin sehr gerne Lehrerin am Abendgymnasium.
Vielen Dank für das interessante Gespräch! :)